In langsamen Schwenks gleitet die Kamera über einen sommerlichen Park. Es ist frühmorgens, blassdunstig. Junge Leute schlendern im fahlen Licht ziellos umher, allein oder in kleinen Gruppen. Manche stöbern im herumliegenden Müll, greifen vereinzelt Gegenstände auf. Heruntergebrannte Feuer glimmen vor sich hin und füllen die Luft mit weissem Rauch.
Was immer hier stattgefunden hat: Die Party ist vorbei und in der fremdartig ort- und zeitlosen Atmosphäre schwelt der kollektive Ausnahmezustand noch nach. Diese Szenen aus «M.U.D.», 2000, sind charakteristisch für Situationen, die Nina Könnemann (*1971) in ihren Videos festhält. Phasen des Übergangs, Zwischenwelten, in denen Menschen nach rauschhaften Entgrenzungssituationen, etwa auf Festivals, den Wiedereintritt in den Alltag erleben. Im Gestus teilnahmsloser Nüchternheit entblösst der umherschweifende Kamerablick weniger die Individuen, die nach ihrem Auftauchen gleich wieder ins Ornament der Masse zurücksinken. Eher steigert der dokumentarische Blick noch den Eindruck des Fiktiven und nimmt auch die dargestellten Personen mit hinein. Alles wirkt gleichermassen irreal und sehr präsent, wie eine inszenierte Bühnensituation. Tatsächlich aber ist das Material weitgehend dokumentarisch, nur gelegentlich stellt Könnemann einzelne Szenen nach. Im schwankenden Eindruck zwischen Bühne und Realität verdichten sich die Schilderungen bisweilen zum heillos nüchternen Gesellschaftsporträt - wie etwa im Film «Unrise», 2002, mit dem Könnemann jüngst in der Ausstellung «nation» des Frankfurter Kunstvereins vertreten war.
Bei Karin Guenther zeigt Könnemann zwei neue Filme: «Castles made of Sand», 2004, eine Monitorarbeit, und «Der Firmling», 2004, eine Projektion, die sie als zusammenhängende Installation präsentiert. Gegenüber ihren bisherigen Videos steigert Könnemann in beiden Arbeiten die Subjektivität des Blicks: Bei «Castles made of Sand» sieht man sich regelrecht ins Kameraauge hineinversetzt, wenn es in langsamer, leicht taumelnder Zickzackbewegung durch eine gelb gekachelt karge Fussgängerunterführung gleitet. Immer wieder kurz davor anzuecken und überlagert von Gesprächsfetzen der Passanten sowie von fragmentarischen Musikpassagen, von denen nicht recht auszumachen ist, ob sie jenseits der Wand oder diesseits des Subjekts zu verorten sind. In «Der Firmling» behält Könnemann dagegen die dokumentarische Aussenperspektive bei, subjektiviert diese aber durch strikte Nahsicht. Die Kamera heftet sich an zwei Männer - rasch als Vater und Sohn erkennbar -, die sich durchs Gemenge am Rande der Berliner Love Parade schieben. Den für dieses Setting vielleicht überraschend christlichen Titel hat die Künstlerin dem gleichnamigen Sketch Karl Valentins entlehnt, in dem eine Vater-Sohn- Konstellation und eine missglückte alkoholische Initiation karikiert werden. In Könnemanns Film fällt in der Unüberschaubarkeit diverser Rückenansichten irgendwann ein beinahe intimes Detail ins Auge, das eigentlich immer schon zu sehen war und fortan die Wahrnehmung des Films bestimmt: Der nachfolgende Sohn hat sich beim ziemlich angetrunkenen Vater mit dem Finger in der Schlaufe einer Umhängetasche «eingeklinkt» und es ist diese Geste, welche die Kamera in der Verfolgung fokussiert. Darin bilden die Akteure ein rührend-kurioses Duo, von dem ungewiss bleibt, ob der Ältere den Jungen bloss mitschleift oder ob der Junge den Alten in wortwörtlicher Anhänglichkeit durch die Menge zu bugsieren versucht - eine Ambivalenz, die auch auf den verfolgenden Kamerablick abfärbt.
Jens Asthoff / Kunstbulletin 2004